Dienstag, 21. April 2009

M4-Übungsaufgabe VIII - Referenzwerke

Nachdem sich ja - wie aus den vorangegangen Postings ersichtlich - schon eine kleine und feine Bibliographie zum gewählten Thema ergeben hat, nichtzuletzt jene Edition der 'Politischen Anmerkungen' sowie jenes Werk zur Seelenkonskription, deren Lektüre mich wahrscheinlich noch vor oder während einer weiteren Recherche beschäftigt und vielleicht den Einstieg, den die Referenzwerke bieten sollen, geschaffen hätte, wußte ich nicht so recht, was ich in breitmaschigen Enzyklopädien suchen sollte. Allerdings gefiel mir die Enzyklopädie der Neuzeit beim ersten Durchblättern, wegen ihrer kulturwissenschaftlichen Ausrichtung, und auch weil ich den Herausgeber Friedrich Jäger mit ähnlich-germanophil lautendem Siegfried Jäger, einem Foucault-Exegeten, verwechselte.
'Zensus', 'Volkszählung', 'Seelenkonskription' fielen aufgrund der alphabetischen Reihenfolge als Schlagworte aus, aber unter 'Bevölkerung' und desweiteren '-diskurse', '-politik', '-statistik', '-bewegung' und '-wissenschaft' wurde ich fündig.
Was habe ich gefunden? 1. Hinweise auf die strategisch-politisch-ökonomischen Kalküle der Technologie des Menschenzählens und -ordnens im historischen Kontext. 2. Mit dem Hinweis auf Malthus, welchem ein weiterer Eintrag in selbiger Enzyklopädie unter 'Malthusianismus' gewidmet ist, einen impliziten Querverweis auf Fouaults Beschreibung der Biopolitik: Malthus behauptet ein Bevölkerungswachstum, welches die nationale Nahrungsmittelproduktion übersteigt, empfiehlt ein bevölkerungspolitisches Reglement sowie einen Abbau der Armenfürsorge und wird in diesem Eintrag mit dem Vorschlag "sterben-lassen" ("laisser mourir") des Bevölkerungsüberschusses zitiert. Die Schwelle zum biopolitischen Zeitalter beschreibt Foucault als die Verschiebung der Macht des Souveräns "sterben zu machen" und "leben zu lassen" zur Macht "leben zu machen" und "sterben zu lassen".
Hier könnte es weitergehen, auch wenn das vielleicht ein Verfransen und Ausscheren aus der Themenvorgabe bedeutet. Doch eine nette Leistung einer Referenzwerkrecherche.
Im Vergleich dazu liest sich der Eintrag zu "Bevölkerungspolitik" im 'Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte' - für meine Augen - eher mager und handelt von habsburgerisch-souveränen konkreten Verteilungen von Bevölkerungsgruppen am Territorium.
Um die Suche doch noch konkreter in Richtung Habsburgermonarchie gehen zu lassen, habe ich noch das Monumental-Austriaka-Ding Österreichische Geschichte, herausgegeben von Herwig Wolfram, konsultiert. Dort finde ich einen quadratisch-praktisch-guten Artikel von Karl Vocelka zum "Beginn des statistischen Zeitalters" und in der Bibliographie dazu Werke, die ich noch nicht kannte, mir aber leider nicht aufgeschrieben habe.
Staunte kurz über die unerhörte Aneinanderreihung von Tabellen und Zahlen, die Untertanen oder Bürger repräsentieren, in Mitchell's 'European Statistics 1750-1970', die dem Google-Treffer Nr.1 entsprechend in Austrialien wohl recht beliebt ist. Doch die ersten Daten über Österreichs Menschleinmassen stammen dort erst aus dem 19. Jahrhundert.
'Census' bescherte mir dann noch in der 'Encyclopedia of the early modern world - europe 1450 1789' einen brauchbaren Treffer: ein Eintrag mit Überblick über die historische Einführung von Census-Maßnahmen in verschiedenen europäischen Herrschaften. In Italien beginnt man damit bereits im Mittelalter und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts mausert es sich zum "essential tool of government".
Ich hätte es lassen sollen, nach 'Volkszählung' in den Geschichtlichen Grundbegriffen, herausgegeben von u.a. Otto Brunner, zu suchen. Der Aufbau des Stichwortkatalogs zwingt mich seitenweise Wortkombinationen mit Volk- aus dem geistig-ideologischen Wissenschaftserbausfluss eines mehr als zu umstreitenden Ahnsherrn der deutschsprachigen Sozialgeschichte durchzurattern. Da kriegt man gleich Lust, in brauner Uniform den IfÖG-Direktor zu machen. Man möge mich verfluchen.

Die Recherche ist zu Ende. Würde noch gerne das Treppenfahrzeug den Bücherwänden der Fachbibliothek entlang reiten, doch für heute ist es genug. Die Enzyklopädie der Neuzeit werde ich im Auge behalten. Die Lehrveranstaltung war - auch aus einer gewissen Ferne betrachtet - sehr gut, nichtzuletzt weil sie dem Autor die Möglichkeit bot, zu spinnen.

Beste Grüße aus der Zelle,

Desperado, oh, you ain't gettin' no younger
Your pain and your hunger, they're drivin' you home
And freedom, oh freedom well, that's just some people talkin'
Your prison is walking through this world all alone
(Desperado, The Eagles)